Der Aprilurlaub, Teil 1


Es geht schon wieder auf Mitte Mai zu, mein Urlaub ist seit über einer Woche Geschichte und bei mir überschlägt sich schon wieder alles. Mir fliegt gerade mein Leben um die Ohren und Murphys Gesetz tritt auch überall in Kraft. Doch der Reihe nach …

Die Renovierung

Wohnzimmer, Küche, Bad und Flur in meiner Zwei-Zimmer-Wohnung hatten seit etwa drei, vier Jahren einen Neuanstrich nötig. Mit drei Zentnern Lebendgewicht sah ich mich dazu nicht in der Lage und schob es weiter vor mir her. Besuch empfing ich in den letzten zwei Jahren aber höchst ungern und verabredete mich deshalb gern außerhalb.

Mein Abnehmvorhaben bot mir hier auch ei-nen guten Grund: „Lass uns doch was unter-nehmen, spazieren oder so …“

Bewegung ist ja immer gut und auch wenn ich mich als extrem Dicke höchst ungern bewegte, weil sofort der Schweiß floss, wenn ich nur ein paar Schritte ging – im Turbotempo einer Roten Wegschnecke -, spazieren mit Freun-den war mir dann doch lieber, als diese in meinen ehemals weißen vier Wänden zu empfangen.

In der Woche vor dem Urlaub kaufte ich Farbe. Diesmal wollte ich Markenfarbe nehmen, in der Hoffnung, dass ich nicht so schnell wieder streichen müsste und ein Anstrich genügt. „Europas meistgekaufte Innenfarbe“ kam mir in den Sinn, die hatte auch in den Tests bei Experten und Laien gut abgeschnitten. Ich fuhr zum Baumarkt meines Vertrauens und stand vor zwanzig Meter breiten Regalen mit jeweils fünf Böden weißer Innenfarbe, nur vom Marktführer. Und die Unterschiede waren nicht, wie ich zunächst vermutete, nur in der Größe der Farbeimer begründet. Es gab zig Sorten. Ach du Sch***! Was brauch ich denn? Nach einer Stunde verließ ich den Markt mit einer Sorte, die nicht tropft. Eine Flüssigkeit, die nicht tropft, ist ein Unding. Was bewerben die denn da? Das wollte ich genauer wissen und nahm noch ein paar Abdeckfolien mit.

Das Wohnzimmer ist der größte Raum der Wohnung und auch der schwierigste, wenn es ums Streichen geht. Das Zimmer hätte ich nicht ausräumen können, weil mir Platz zum Zwischenlagern der Möbel fehlt und Spinat nicht wirklich Superkräfte verleiht. Meine Wohnlandschaft kann nur von mindestens zwei starken Männern bewegt werden. Die Wohnzimmerschränke sind an der Wand verschraubt und sollten auch da bleiben. Die Wand dahinter leuchtet in einem grandiosen Orange, das ich gern beibehalten wollte – vor allem, weil die Farbe wie am ersten Tag leuchtet, als hätte ich sie erst gestern aufgetragen. Aber die Wohnzimmerdecke und die anderen drei Wände brauchten einen neuen Anstrich. Der Farbton war undefinierbar.

Ergo: Die Wohnlandschaft musste mit alten Decken verhüllt werden, über die dünne Maler-Abdeckfolie getackert wurde, sodass kein Tröpfchen Farbe das Couch-Design verändern konnte. Die Wand mit den Wohnzimmerschränken musste sorgsam verhüllt und abgeklebt werden. Da die Wohnlandschaft im Zimmer blieb, musste der Teppich auch liegen bleiben und auch abgedeckt werden. Mal eben mit der Rolle rasch die Decke streichen funktioniert so nicht. Peu á peu hieß die Methode. Und genau deshalb wollte ich mit diesem Raum beginnen, um das Schlimmste zuerst hinter mich zu bringen.

Am Freitag nach der Arbeit wollte ich mit dem Abkleben beginnen, um am Samstag-morgen frisch ans Werk zu gehen. Es blieb beim Wollen, denn Günthi, mein innerer Schweinehund, tauchte urplötzlich als riesiger Bluthund auf und schüchterte mich und mein starkes inneres Team ein. Die Herren Ehrgeiz und Fleiß und Miss Perfect rannten um ihr Leben und ließen mich erstarrt im Bett zurück, vor dem Günthi die Zähne fletschte, sobald ich mich bewegte.  Ich blieb fast das ganze Wochenende ans Bett bzw. später an die Couch gefesselt und musste das Fernsehprogramm über mich ergehen lassen.

Am Sonntagabend machte ich dann einen Schlachtplan. Ein bis zwei Tage plante ich für das Wohnzimmer ein. Einen weiteren Tag würde ich für die Küche brauchen. Bad und Flur würde ich beide an einem Tag schaffen, da das Bad klein ist und die Wände bis zur Schulterhöhe gefliest sind. Dann meldet sich mein Bauchhirn: Warum strich ich das Wohnzimmer nicht als letztes? Sollte ich wirklich, wie meine beste Freundin behauptete, es nicht schaffen, die Wohnung bis Ostern zu streichen, müsste ich das Wohnzimmer eben später streichen – notfalls in Etappen (es kommen ja noch ein paar Feiertage mit Brückentagen): erst die Decke, dann die Wände.

Ich begann am Montag mit dem kleinen Bad. Als ich mittags endlich mit der Zimmerdecke fertig war, glaubte ich schon, dass meine Freundin recht behalten würde. Alle vier Zimmer würde ich bis Ostern wohl nicht schaffen. Gegen zwei war das Bad fertig, gegen sechs war der Flur gestrichen.

Die Farbe, die nicht tropft, ist super. Natürlich tropft sie, wenn man das will. Wenn man aber nur etwas sorgsam damit umgeht, tropft sie wirklich fast nicht. Die würde ich wieder kaufen – muss ich aber hoffentlich nicht in den nächsten fünf, sechs Jahren, hoff ich.

Am nächsten Tag strich ich die Küche. Danach war ich fix und fertig und konnte mich kaum noch bewegen. Alles tat weh.

Der Mittwoch diente der körperlichen Regeneration auf der Couch. Das gelang nicht vollständig, aber am Gründonnerstag strich ich die Wohnzimmerdecke – mal mit Teleskopverlängerung vom Boden aus, mal auf der Leiter, da war der Kraftaufwand in Armen und Schultern nicht so groß, dafür schmerzten Hintern und Beine. Am Abend lag ich wie ein geprellter Frosch auf meiner Couch und schaute auf eine wolkige weiße Wohnzimmerdecke. Ich war auch nervlich am Ende und fragte mich, ob mir meine Augen einen Streich spielten, die Decke einheitlich weiß war und ich nur Wolken entdeckte, wo keine waren, oder ob ich wirklich so fleckig gestrichen hatte. Ich sah mich in Gedanken schon am Karfreitag auf der Leiter die Decke erneut streichen, denn fürs Streichen mit Teleskopverlängerung am Boden fehlte mir die Kraft. Ich hoffte noch, dass die Wölkchen mit dem Trocknen der Farbe verschwänden.

Am nächsten Morgen war es draußen wolkig – in meinem Wohnzimmer auch. Aber ich fand Gefallen an den Wölkchen. Die beste Freundin aller Zeiten rief an und ließ sich berichten. Als ich von den Wölkchen erzählte, sprach sie: „Mein Mann sagt immer: ‚Das guckt sich noch weg!'“

Ich strich die Wohnzimmerwände und am Karsamstag brachte ich den Malerkram in den Keller und putzte. Kraft und Elan waren wohl auch im Keller untergekommen, das Putzen zog sich. Doch am Abend war ich glücklich und zufrieden. Ich hatte es geschafft und das Streichen mich auch. Vor einem Jahr hätte ich das nicht gepackt. Nach dem Badstreichen hätte ich aufhören und mich eine Woche erholen müssen.

Ich liege oft auf dem Sofa und sehe meine Wolkendecke an. „Es“ guckt sich nicht weg, aber ich mich. Das hat etwas Meditatives. Die beste Freundin aller Zeiten findet die Decke auch faszinierend.

„Das guckt sich noch weg!“ ist eine tolle Aussage, fast wie „Das gehört so!“.

Über Paninero

Paninero, mitten im Leben, weiblich, adipös - im Juni 2016 hatte ich eine Magenverkleinerung, nahm über 50 Kilo ab und habe wieder mehr Freude am Leben. Seit 2017 habe ich eine neue Herausforderung: Rheumatoide Arthritis (RA). Aber ich lasse mich nicht unterkriegen.
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4 Antworten zu Der Aprilurlaub, Teil 1

  1. moserschreibt schreibt:

    Glückwunsch! Ich kann sehr gut mitfühlen… 😉

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  2. ChaosLu schreibt:

    Sehr lustig geschrieben. Toll, dass Du Deine Renovierung jetzt endlich in Angriff genommen hast. Decken streichen ist der blanke Horror!

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  3. Paninero schreibt:

    Oh ja! Ich denke, die Wolken sind entstanden, weil ich in zwei verschiedenen „Techniken“ gestrichen habe. Ich streiche lieber auf der Leiter, weil der Kraftaufwand nicht so hoch ist. Wenn aber die Wohnlandschaft mitten im Raum steht, die man zwar besteigen kann, von der man aber nicht bis an die Decke kommt, dann muss die Teleskopverlängerung ran. Dann wirkt die Armkraft anders, schätze ich. Beim nächsten Mal muss ich das anders machen. Ich hätte ja auch gern einen Maler kommen lassen, das wär es mir wert gewesen. Aber die Handwerker wollen ja eine leere Bude haben. Wenigstens die Wohnlandschaft und der Teppich hätten raus gemusst, damit der Maler auf der Leiter durch das Zimmer laufen kann. Na ja, es ist vollbracht, die Wände blenden und an der Decke gibt’s immer was (weg) zu gucken. 😉

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